Die Doktoranden der Forschungsstelle werten die Datenbestände zu einzelnen Briefwechseln in ihren Dissertationsvorhaben aus. Dabei liegt ein Forschungsschwerpunkt auf den Motiven konfessioneller Polemik, den Mechanismen der Konfessionalisierung sowie der Profilierung innerprotestantischer Differenzlehren im Werk wichtiger Vertreter der Kontroverstheologie in Württemberg, der Kurpfalz sowie in Straßburg.
Laufende Dissertationsprojekte:
Der Schriftnachlass des Hirsauer Abts Johannes Parsimonius (1525–1588) im Kontext seiner Zeit [Arbeitstitel]
Elise Gäng
Neben zentralen Personen wie Jakob Andreae, Johannes Brenz der Ältere oder Thomas Erastus gab es zahllose weitere Geistliche, welche die lutherische und die reformierte Konfession im Reich verbreiteten und lehrten. Einer von diesen ist der spätere Abt des Klosters Hirsau: Johannes Karg oder latinisiert Johannes Parsimonius. Dieser verfasste eine Vielzahl an (unveröffentlichten) Schriften, welche bisher größtenteils nicht aufgearbeitet wurden. Dabei sind diese hochinteressant, gerade weil sie sich nicht auf theologische Inhalte beschränken, sondern überdies zwei Weltgeschichten und Zusammenfassungen für den Unterricht an der Klosterschule beinhalten. Darüber hinaus führte Parsimonius zahlreiche Briefwechsel mit führenden Theologen seiner Zeit (unter anderem mit Andreae und Brenz) und intervenierte sowohl im Augsburger Kalenderstreit als auch im bisher kaum erforschten Augsburger Höllenfahrtsstreit. All dies macht ihn zu einer sehr vielfältigen Persönlichkeit. Im Rahmen des Dissertationsprojekts soll daher der Schriftnachlass von Parsimonius umfassend aufgearbeitet werden, wobei ein Schwerpunkt die Bearbeitung seiner Korrespondenzen darstellen wird.
Obrigkeitliche Konfessionswechsel und ihre Folgen.
Die kurpfälzische Religionspolitik unter Ludwig VI. (1576–1583) und Johann Casimir (1583–1592)
Marcel Böhme
Die Kurpfalz als eines der bedeutendsten weltlichen Territorien im Alten Reich mit dem Zentrum in Heidelberg und der entlegenen Oberpfalz war im 16. Jahrhundert mehrmals einem Konfessionswechsel ausgesetzt, der sich jeweils mit dem Herrscherwechsel vollzog. Aufgrund des landesherrlichen ius reformandi verlief die religiös-konfessionelle Geschichte hier singulär. Unter Kurfürst Friedrich III. bildete sich ein Zentrum des Reformiertentums mit europäischer Vernetzung. Bedeutsam für die Konfessionalisierung im Südwesten des Reichs war auch die Regierungszeit seines Sohnes, Kurfürst Ludwigs VI., der das Luthertum wieder einführte. Zur Relutheranisierung existiert bislang noch keine Untersuchung. Unter dem Kuradministrator Johann Casimir kehrte die Kurpfalz schließlich wieder zum reformierten Bekenntnis zurück. Eine systematische Analyse der innerevangelischen Konfessionsveränderungen und ihrer Auswirkungen ist ein Forschungsdesiderat, das mit der Dissertation geschlossen werden soll. Zugleich wird das Profil zentraler kirchenleitender Theologen (Generalsuperintendenten, Hofprediger) auf Grundlage ihrer Korrespondenzen ermittelt, die im Zuge des Forschungsprojekts Theologenbriefwechsel erstmals erschlossen werden. Durch die Erforschung der Konfessionswechsel soll ein Beitrag zum Umgang mit konfessioneller Pluralität im Untersuchungszeitraum der Arbeit geleistet werden.
Abgeschlossene Dissertationsprojekte:
„Concordia et Confessio“.
Die Vermittlungstätigkeit des lutherischen Theologen Jakob Andreae
Stefan Aderhold
Ohne Zweifel spielt Jakob Andreae für die lutherische Konfessionalisierung eine tragende Rolle. Dennoch gibt es nur wenige Beiträge, die sich ausführlich mit seinem Leben und seiner Wirkung beschäftigen. Zudem kommen diese zu gegensätzlichen Bewertungen seiner Mitwirkung an konfessionsbildenden Prozessen. Während einige seine kompromisslose Härte in den Konfliktsituationen seiner Zeit betonen, heben andere seine pragmatische Offenheit hervor. Beide Perspektiven vereinigen sich in der Ambiguität seiner Person. Zum einen versuchte er, tiefgreifende Dissensen als Wortstreit herunterzuspielen, zum anderen verteidigte er leidenschaftlich, was für ihn den Kern theologischer Wahrheit ausmachte. Dieser Forschungsbeitrag wird seine Verhältnisbestimmung von concordia und confessio in unterschiedlichen Konfliktlagen und ihre Bedeutung für die lutherische Konfessionalisierung untersuchen. Aufgrund des dialogischen Charakters seiner Theologie wird seine Korrespondenz dabei besonders berücksichtigt.
Damit sie „regiren nach dem wort Gottes, nit nach aigner vernunfft“.
Gemeinwohl und Toleranz in der politisch-theologischen Semantik des Johannes Brenz (1499-1570)
Theresa Möke
Dass Fürsten „regiren sollen nach dem wort Gottes, nit nach aigner vernunfft“ schreibt der württembergische Theologe Johannes Brenz (1499-1570) und macht dies zum erklärten Ziel seines politischen Wirkens. Als junger Heidelberger Student begegnete er 1518 Martin Luther, begeisterte sich sofort für dessen Thesen und „brennt“ seither für die Reformation, die er im Südwesten des Reiches schon bald entscheidend mitgestaltet. Als politischer Denker und Politikberater erwirbt sich der Theologe dabei ein ausgesprochen markantes Profil. Von protestantisch gesinnten Fürsten um Rat gebeten, erarbeitet Brenz im Rekurs auf biblische Traditionen neue Ideen und Konzepte zur Gestaltung guter Herrschaft.
Auf Grundlage der im Akademie-Projekt „Theologenbriefwechsel“ ab 2017 neu erschlossenen Quellen leuchtet die Dissertation aus, wie sehr Brenz das Politische prägte und welche Normen und Werte er zur Ausgestaltung guter Herrschaft formulierte. Das Forschungsdesiderat einer systematischen Aufarbeitung von Brenz‘ politischem Wirken und Denken soll damit geschlossen werden.
Die Dissertation ist 2024 erschienen (siehe Publikationen).
„Daraus kündten auch die Graeci lärnen“
Die Bemühungen des Martin Crusius (1526-1607) um ein Luthertum der Griechen
Paul A. Neuendorf
Die Dissertationsschrift untersucht die schriftlichen und praktischen Bemühungen des Tübinger Gelehrten Martin Crusius, die lutherische Lehre unter den griechisch-orthodoxen Christen zu verbreiten. Während des Kontakts der württembergischen Landeskirche mit dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel 1573-1581 erklärte es Crusius zu seinem persönlichen Ziel, einerseits das Luthertum unter den Griechen zu verkünden, und andererseits dem griechischen Bildungssystem zu neuer Blüte zu verhelfen. Der Tübinger Professor verfasste und erstellte hierzu insgesamt sieben Werke für die religiöse Praxis, den theoretischen Unterricht und für die konfessionelle Abgrenzung. In der Untersuchung wird anhand der vollständigen Auswertung des Tagebuchs von Crusius eingehend beleuchtet, mit welcher Beharrlichkeit der Professor der artistischen Fakultät über Jahrzehnte hinweg trotz unzähliger Widrigkeiten dieses Anliegen verfolgte und welche praktischen Missionsversuche er unternahm, wenn Griechen ihn in Tübingen aufsuchten.
Zudem wird mit der Dissertation die Ersteditionen von 54 lutherischen, von Crusius ins Griechische übersetzten Liedern und weiteren 24 zentralen Texten geboten.
Die Dissertation ist 2022 erschienen (siehe Publikationen).