Geschichte der Südwestdeutschen Hofmusik
im 18. Jahrhundert
Vom ausgehenden Mittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Fürstenhöfe neben den Kirchen zeitweilig die wichtigsten Träger des Musiklebens. Trotz dieser allgemein bekannten Tatsache hat sich die Musikgeschichtsschreibung in der Vergangenheit mit dem Einfluss der fürstlichen Auftraggeber oder des sozialen und kulturellen Umfelds, unter dem musikalische Werke entstanden, nur selektiv und in erster Linie unter lokalpatriotischen Gesichtspunkten beschäftigt. Dies ist um so erstaunlicher, da doch beispielsweise die Geschichte der Oper ohne fürstliches Mäzenatentum und Hof kultur ebenso wenig denkbar ist wie etwa die Geschichte des Balletts.
Auch eine Künstlerbiographie jener Zeit wurde für gewöhnlich weniger vom konsequenten Reformwillen als von den unterschiedlichen kulturpolitischen Zielen oder sei es auch nur von dem musikalischen Geschmack des Dienstherrn bzw. der jeweiligen Auftraggeber bestimmt. Die Notwendigkeit dieser Forschungen wird erst in jüngerer Zeit allgemein anerkannt.
Adel verpflichtet
Die Erforschung der Mannheimer Hof kapelle in der Regierungszeit des Kurfürsten Carl Theodor hat gezeigt, welche neuen Erkenntnisse die Beschäftigung mit der Musikpflege eines Fürstenhofes und der Blick über den Tellerrand der Kompositionsforschung hinaus gerade auch unter Einbeziehung sozialgeschichtlicher Aspekte zutage fördern kann. Diese Erkenntnisse blieben freilich punktuell, würden sie nicht in eine systematische Untersuchung des Phänomens »Hofmusik« münden, das für die Kulturgeschichte insbesondere des deutschsprachigen Raums mit seinen zahllosen Residenzen so wichtig ist. Der Südwesten Deutschlands bietet sich für eine derartige Untersuchung besonders an, weil hier auf begrenztem Raum in enger Nachbarschaft etliche Adels- und Hofkapellen unterschiedlicher Größe und Ausstattung nebeneinander existierten, untereinander konkurrierten, miteinander kooperierten – luxuriös finanzierte Hofkapellen mit internationaler Ausstrahlung wie Stuttgart und Mannheim, mittlere wie Karlsruhe oder Rastatt, kleine wie Donaueschingen oder Hohenlohe.
Hofmusik - Dokumentation, Interpretation und Vergleich
Die umfassende Erarbeitung und Dokumentation dieser für die Region bedeutendsten musik- und kulturgeschichtlichen Epoche ist unter Einbeziehung sozialgeschichtlicher und wirtschaftlicher Aspekte die vorrangige Aufgabe der Forschungseinrichtung. Vergleichende institutionsgeschichtliche Fragestellungen im gesamteuropäischen Kontext sowie stilkritische Untersuchungen zur Kompositionspraxis der Hof- und Adelskapellen, Studien zu ihrer Rolle in der Entwicklungsgeschichte des modernen Orchesters unter Einbeziehung der Neuerungen im Instrumentenbau des 18. Jahrhunderts sowie Fragen zur historischen Aufführungspraxis bilden weitere Schwerpunkte der Forschungsarbeit.
Das Beispiel der Mannheimer Hof kapelle, der wichtigsten Hof kapelle im südwestdeutschen Raum, deren sozial- und musikgeschichtlicher Bereich in den letzten 15 Jahren von der gleichnamigen Forschungsstelle grundständig erforscht wurde, hat gezeigt, dass Kulturförderung nicht nur lang fristigen Ruhm bringt, sondern auch ein unmittel bar messbarer Wirtschaftsfaktor sein kann. Denn dank ihrer modernen, leistungsorientierten und innovativen Hofmusik entwickelte sich die Kurpfalz und damit auch die Region des heutigen sog. Rhein-Neckar-Dreiecks im 18. Jahrhundert zu einem führenden kulturellen und wissen schaftlichen Zentrum, das zahlreiche Künstler, Philosophen, Literaten und Bildungsreisende aus ganz Europa anzog (z. B. Mozart, Gluck, Joh. Chr. Bach, Voltaire, Goethe, Schiller, Klopstock). Das musikfreundliche Klima lockte jedoch nicht nur »Musikkonsumenten« an, sondern beförderte gleichzeitig eine Art musikalische Infrastruktur um die Hofmusik herum, die ohne die Anwesenheit der Musiker nicht möglich gewesen wäre. Durch die Ansiedelung von Musikverlagen und vielf ältigen Handwerksbetrieben (z. B. Buch- und Notendruck, Instrumentenbau, Papierherstellung, Theaterwerkstätten etc.) trug die Hofmusik ganz wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung der Region bei – von dem auch noch benachbarte Fürstenhöfe wie Leiningen und Kirchheimbolanden profitierten.
Unter den Hofkapellen des Südwestens eignet sich Stuttgart für einen Vergleich mit Mannheim an erster Stelle, und dies nicht nur, weil zwischen beiden Höfen ein reger Austausch von Musikern herrschte, die die musikalischen Erfahrungen des einen in den anderen Hof trugen, sondern auch, weil beide Höfe eine ähnliche, europäisch ausgerichtete Kulturpolitik betrieben. Die Mischung aus lokaler Tradition einerseits und Internationalität andererseits ist charakteristisch für Mannheim wie für Stuttgart; dennoch sind die künstlerischen Ergebnisse signifikant verschieden. Daneben sollen auch Adels- und Hofkapellen der zahlreichen mittleren und kleinen Residenzen untersucht werden. Das Studium der verschiedenartigen Repertoires in den kleinen Kapellen gibt dabei Auskunft nicht nur über die musikalischen Vorlieben einzelner Fürsten, sondern auch über den Werdegang von erstaunlichen Veränderungen unterworfenen musikalischen Werken. Angestrebt ist ferner eine Ausweitung der Forschungsarbeit auf den gesamten deutschen und europäischen Raum.
Die Forschungsstelle
Ziel des 2006 gegründeten Landesprojektes ist vor allem die umfassende Sammlung und Aufbereitung der archivalischen und musikalischen Quellen zur Sozial- und Institutionsgeschichte der südwestdeutschen Hofkapellen. Vergleichende institutionsgeschichtliche Fragestellungen im gesamteuropäischen Kontext sowie stilkritische Untersuchungen zur Kompositionspraxis der Hof- und Adelskapellen, Studien zu ihrer Rolle in der Entwicklungsgeschichte des modernen Orchesters unter Einbeziehung der Neuerungen im Instrumentenbau des 18. Jahrhunderts sowie Fragen zur historischen Aufführungspraxis bilden weitere Schwerpunkte der Forschungsarbeit.
Die Forschungsergebnisse werden in einer Schriftenreihe sowie einer praxisorientierten Notenedition, in Form von Vorträgen, Ausstellungen, Rundfunksendungen sowie Programmberatungen bei CD- und Rundfunkproduktionen, Konzerten und Festivals, etwa den Schwetzinger SWR Festspielen, veröffentlicht. Die Forschungsstelle versteht sich zudem als Forschungs- und Kommunikationszentrum, das sowohl Musikwissenschaftlern, Wissenschaftlern verwandter Disziplinen, aber auch Musikern und wissenschaftlich interessierten Laien offen steht. Eine Kooperation mit nationalen und inter nationalen Wissenschaftlern sowie wissenschaftlichen Einrichtungen ist ausdrücklich erwünscht. Zu den Tagungen, Seminaren und Workshops, die dazu beitragen sollen, das reiche kulturelle Erbe des Südwestens für die Gegenwart zu erschließen und für künftige Generationen zu bewahren, sind Wissenschaftler, Musiker und ein wissenschaftlich interessiertes Laienpublikum herzlich eingeladen.