Neues Forschungsprojekt für die Akademie

Mittelalterliche Handschrift
Bibelglossare als verborgene Kulturträger. Judäo-französischer Kulturaustausch im Hochmittelalter

Ab 2023 startet ein neues Forschungsvorhaben der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, das im Rahmen des von Bund und Ländern geförderten Akademienprogramms seitens der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz jüngst bewilligt wurde. Das judaistisch-romanistische Projekt ist ein Beitrag zur judäo-französischen Sprach- und Literaturtradition, die in ihrer kulturwissenschaftlichen, linguistischen und theologiegeschichtlichen Bedeutung erstmals und interdisziplinär aufgearbeitet werden soll.
 

Bibelglossare als verborgene Kulturträger. Judäo-französischer Kulturaustausch im Hochmittelalter

Die Forschungen im Rahmen des neuen Projekts zur jüdischen Diaspora-Kultur werden gleichzeitig eine Re-Evaluierung der mittelalterlichen jüdisch-christlichen Religions- und Kulturgeschichte vornehmen. Bearbeitet werden hebräisch-französische Glossare zur Bibel sowie französische Glossen in hebräischer Schreibung in der hebräischen Bibel- und Talmud-Kommentarliteratur (tosafot), die in diesem Projekt ediert und erstmals umfassend historisch-philologisch und lexikographisch kontextualisiert werden. Insgesamt sind es ca. 105.000 altfranzösische Lexien in hebräischer Schrift, die in ihrem Verhältnis zu den profanen und geistlichen altfranzösischen Literaturen aufgearbeitet werden sollen. Sie sind exzeptionelle Zeugen für eine sich zeitgleich entwickelnde (jüdische und christliche) französische (Bibel-)Lesekultur zwischen dem 12. und dem 14. Jh., die bisher noch nie en détail untersucht wurde. Im Rahmen dieser Lesekultur bilden die erhaltenen Glossare Grundlagentexte für die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen Geistesgeschichte und der nicht-jüdischen Umwelt. Die Erarbeitung lexikologischer Überschneidungen stellt der historischen Darstellung eines leidvollen Antagonismus von lateinischer Kirche und Judentum das Bild einer kulturell fruchtbaren wechselseitigen Beziehung zwischen den französischen Vernakularliteraturen (Mehrheitsgesellschaft) und der jüdischen Bildungsgesellschaft (Minorität) an die Seite, die bislang erst in Ansätzen erkannt und gewürdigt wurde.

Die Projektarbeit wird durchgehend in eine digitale Arbeitsumgebung integriert. Das neue Forschungsvorhaben wird von der Judaistin Prof. Dr. Hanna Liss (Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg) und dem Romanisten Dr. Stephen Dörr geleitet. Das Projekt ist mit einer jährlichen Fördersumme von 375.000 Euro auf eine Gesamtlaufzeit von 18 Jahren ausgelegt.