„Back to normal? Wie wird Corona unseren Alltag verändern?“

Raumaufnahme eines Vortragssaals, eine PowerPoint wird an eine schwarze Wand gestrahlt, vor der fünf zwei bezogenen Stehtische für eine Podiumsdiskussion stehen. An jedem Tisch steht eine Person, im Vordergrund des Bildes ist das Publikum mit dem Rücken zur Kamera gedreht zu sehen
Öffentlicher Diskussionsabend am 28. September 2020 im Karlsruher Südwerk

Zum zweiten Mal in Folge veranstaltete die Heidelberger Akademie der Wissenschaften einen an einem aktuellen Thema ausgerichteten öffentlichen Diskussionsabend in Karlsruhe. In diesem Jahr diskutierten und debattierten Mitglieder der Akademie aus den Bereichen Medizin, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Geschichte und der Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe mit dem Publikum zum Thema „Back to normal? Wie wird Corona unseren Alltag verändern?“. Dabei drehte es sich darum, welche Konsequenzen die Corona-Krise haben würde, was wir aus früheren Pandemien lernen sollten und wie es weitergehen könnte. Die letztjährige Veranstaltung in dieser an die Öffentlichkeit gewandten Reihe folgte mit dem Thema „Back to the future – Wie wird autonomes Fahren unseren Alltag verändern?“ dem Motto des Wissenschaftsjahres 2019 „Künstliche Intelligenz“. Professor Matthias Kind begrüßte die ca. 60 Anwesenden im Namen der Akademie und der beiden Kooperationspartner, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Stadt Karlsruhe. Die Veranstaltung fand in dem großen Saal des Bürgerzentrums „Südwerk“ statt, das mit einem durchdachten Hygienekonzept und ausreichend Platz corona-konforme Bedingungen bot. Dass trotz dieser sehr guten Voraussetzungen nicht alle Plätze besetzt waren, kann auch als ein Indikator dafür gesehen werden, wie groß die Verunsicherung der Menschen derzeit ist.

Professor Hans-Georg Kräusslich, der als Leiter der Virologie des Heidelberger Uniklinikums und wissenschaftlicher Berater der baden-württembergischen Landesregierung den medizinischen Part vertrat, fasste den aktuellen Sachstand hinsichtlich des Covid-19-Erregers zusammen. Auch wenn wir vergleichsweise gut durch die erste Phase gekommen seien und die Behandlungsmöglichkeiten von Erkrankten inzwischen verbessert werden konnten, so bliebe doch die Angst vor der zweiten Welle. Kräusslich plädierte für das Tragen von Masken und fürchtet, dass angesichts der fortwährenden Warnungen die Gegenbewegung stärker werde, d.h. mehr Menschen die Abstandsregeln ignorieren und die Gefahr des Virus kleinreden. Das Vorliegen eines Impfstoffes hält er erst ab Mitte des kommenden Jahres für wahrscheinlich.

Raumaufnahme eines Vortragssaals, im Vordergrund Stuhlreihen, zwischen denen Herr Brock einer Teilnehmerin das Mikrofon für eine Publikumsfrage hinhält, er steht seitlich zu den Betrachtenden und trägt einen medizinischen Mundschutz, die Teilnehmerin steht mit dem Rücken zur Kamera, im Hintergrund eine Bühne mit Stehtischen für eine Podiumsdiskussion

Von einer ganz anderen Perspektive betrachtete Professor Bernd Schneidmüller als Historiker die Corona-Pandemie. Er ordnete die aktuelle Krise in den geschichtlichen Kontext ein. Parallelen zu der Pest oder der „Spanischen Grippe“ seien nicht so einfach zu ziehen, denn niemals habe es in der Geschichte einen derartigen Lockdown gegeben und unsere global vernetzte Welt sei nicht mit der des 14. Jahrhunderts zu vergleichen. Wir erlebten heute eine Erschütterung der Wissenschaft und stünden vor der größten Herausforderung der Nachkriegsgenerationen. Die Beschäftigung mit der Geschichte zeige aber auch, dass nach der Überwindung von Seuchen stets eine überschwängliche Lebensfreude den Alltag beherrsche, und letztendlich sei jede Krise auch ein Motor für die Menschheitsgeschichte.

Die kommunalpolitische Sichtweise vertrat Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup. Er widmete sich den konkreten Problemen, die durch die Pandemie für eine Großstadt entstehen. Für Städte wie Karlsruhe bestehe eine große Unsicherheit: Wohin entwickelten sich das Kulturleben, der öffentliche Personennahverkehr, das Bäderwesen? Die Krise habe massive Auswirkungen auf die städtischen Finanzen, und gerade in den Bereichen, wo es ohnehin schon finanzielle Defizite gebe, würden diese Probleme durch Corona noch beschleunigt. Was den Alltag angeht, äußerte Mentrup die Sorge, dass bei Vielen nach der „Angst um das Leben“ die „Angst vor dem Leben“ folge: „Wann kommt das unbeschwerte Lebensgefühl zurück? Wann können wir mal wieder tanzen gehen?“

Den ökonomischen Folgen der Krise widmete sich der Wirtschafswissenschaftler Professor Ernst-Ludwig von Thadden. Er sieht in der aktuellen Situation die wirtschaftlich und gesellschaftlich größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Bis zu 250 Milliarden Euro weniger Wertschöpfung zieht er als Bilanz dieses Katastrophenjahres in wirtschaftlicher Hinsicht. Bislang hätten wir das ganz gut mit Geld überbrückt, das wir allerding nicht hätten. Deshalb lägen die Folgen der Pandemie noch vor uns.

Die Psychologin Frau Professorin Sabina Pauen hatte vor allem die nächste Generation im Blick: Sie fragte, wie wir Kindern und Familien durch die Krise helfen und neue Konzepte entwickeln könnten? Sie sieht aber in der Krise auch eine Herausforderung, die neue Blickwinkel öffnen könne. Beispielsweise könne sie sich vorstellen, dass Lehramtsstudenten Patenschaften für Schüler übernähmen, die zuhause während des Homeschoolings nicht die ausreichende Unterstützung bekämen. Als positive Entwicklung begrüßte sie die Beobachtung, dass das bürgerschaftliche Engagement wachse.

Moderiert wurde der Abend von Markus Brock, der auch immer wieder das Publikum aktiv in die Diskussion miteinbezog. Eine Debatte wie im britischen Unterhaus, frei nach dem Motto „The ayes to the right, the noes to the left“, konnte es unter den aktuellen Bedingungen zwar nicht geben, aber das Publikum konnte mit roten und grünen Karten über die Fragen abstimmen und sich in die Diskussion einmischen. So wurden zahlreiche interessante Impulse eingebracht, wie z. B. der Vorschlag, die Unterrichtszeiten der Schulen flexibler zu gestalten oder die Anregung, eigene Aktivitäten wie Restaurantbesuche vorausschauender zu planen und so zu entzerren.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion gab es die Gelegenheit, an Stehtischen mit maximal vier Personen im kleinen Kreise weiter zu diskutieren. Dieses Angebot wurde von zahlreichen Besuchern der Veranstaltung genutzt und so kam es zu einem regen Gedankenaustausch, bei dem Einzelpersonen auch noch einmal das Gespräch mit den Podiumsteilnehmern suchten.

Mit diesem innovativen Veranstaltungsformat konnte die Heidelberger Akademie der Wissenschaften erneut ein brennendes und relevantes Thema aufgreifen und es öffentlichkeitswirksam auf hohem Niveau sowie in angemessener Breite im Diskurs behandeln.